Mittwoch, 17. Januar 2018

walking on raufaser.


Geschichten zu erzählen ist eine Kunst, weshalb ich auf Raufaser laufe und Dinge extra unscharf lasse. Das Buch was ich lese sagt, ich solle mich öffnen und all den Kram rein- und dann wieder rauslassen, jedenfalls interpretiere ich das so für mich. Ich versuche also an mich und mein Kunst-Schaffen zu glauben ohne dabei furchtbar künstlich zu sein. Einfache Ideen kreieren und dann los lassen. Und einfach mal auf die Technik scheißen. Aber was dabei transportieren. Einen Sinn im Schaffen finden und an Dingen scheitern und lernen. Aha, interessant!


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"In eurem Kopf gibt es eine Insel, ganz hinten links, hinterm Dings" sagt sie und schaut uns erwartungsvoll an. Sie starrt uns regelrecht an. Vielleicht möchte sie uns auch auffressen. Viele nicken, ich starre zurück, aber auch irgendwie auch durch sie durch. Ihre Hand fährt nervös über ihren Rock, der viel zu billig wirkt für eine Veranstaltung wie diese. Ich notiere es in meinem bereits ausgefledderten College-Block. Sie hatte sich wahrscheinlich mehr Interesse für ihren seltsamen Vortrag erhofft. Also sage ich etwas lauter "hinterem Dings, aha, was bedeutet das?" Jetzt lächelt sie wieder, sammelt sich und fährt dann mit ihrer ungeheuerlichen Art fort. Alles was sie sagt ist blanker Unsinn, dass ist allen in diesem Raum klar. Niemand will noch länger zuhören und auch ich fange wieder an blaue Jeans zu zählen. Dann Brillen. Dann Tattoos. Letzteres wird ein eher schwieriges Unterfangen und alles was ich finde ist ein Finger mit einem Halbmond drauf. Hinterste Reihe, ganz links. Person mit kurzen roten Haaren. Ich gratuliere mir zu meinen Adleraugen, aber es ist klar, das jetzt, wo ich mich ausgiebig umgeschaut habe, alle noch nervöser werden. Sie schieben ihre Hintern hin und her, wippen mit den Beinen und einige gähnen bereits. Arme Insel-Frau. 

Nach dem Vortrag gehe ich nach vorne und bedanke mich. "Danke, dass sie ihr Dings mit uns geteilt haben". Alle Jaulen und trappeln mit den Füßen fast lautlos auf dem dünnen Linoleum, nur die Insel-Frau zupft sich nervös an ihrem zu kurzem Pony herum. Sie findet nicht witzig, dass sie alle für eine Lachnummer halten und doch steht sie noch immer hier und lächelt falsch. Diese Situation müssen wir später genauer analysieren, aber jetzt bleibt nicht mehr viel Zeit. "Gibt es noch Fragen?" Ich schaue in leere Gesichter, warte ein paar Sekunden und sehe dann den Finger der Person mit dem Halbmond-Tattoo. "Hier!" "ja bitte." "woher haben sie den Rock?" "interessante Frage" stelle ich fest und gebe das Wort mit einer großen Geste an die Insel-Person weiter. Die verzieht keine Miene und sagt "H&M, Schlussverkauf." "Wunderbare Wahl" schließe ich das kurze Frage-Antwort-Spiel ab. Wobei "eine Frage habe auch ich noch", sage ich und stelle mich nun direkt vor die Person, die mir gerade zwanzig Minuten meiner kostbaren Zeit gestohlen hatte. "Wer sind sie eigentlich?" Alle grölen und auch ich lache mir ein bisschen ins Fäustchen. Wie schnell die Situation hier eskaliert war war beispielhaft. Ich hatte mir vorher keine großen Gedanken zum heutigen sozialen Experiment gemacht und war eher unvorbereitet ins Seminar gekommen, aber jetzt lief es einfach. Just let it flow! Das war auch mein Motto für dieses Jahr. Und es hatte ja gerade erst angefangen. Aber Schluss jetzt. Mit einer Hand packe ich schwungvoll ihren Arm und streckt ihn zu einer Art Sieges-Pose in die Höhe. "Das war Misses Insel und ihr sinnloses Gelaber" schreie ich in die Menge, so als wäre es eine Zirkusnummer. War es ja irgendwie auch. Dann sehe ich der Insel-Frau kalt in die Augen - ich hatte das unzählige Male vor dem Spiegel geübt - und endlich, endlich fing sie an zu weinen. 

Sobald jemand weinte, hörte ich auf. Das war meine eiserne Regel. Und irgendwann weinten sie alle. Also gehe ich von der Bühne, hole ihr ein Glas Wasser und bitte sie, sich kurz zu setzen. Den anderen befehle ich, augenblicklich aus ihren Rollen zu schlüpfen und sich wieder ihrem analytischen Verstand zu bedienen. Kein einfaches Unterfangen denn die Rollen verschwimmen jedes Mal aufs Neue. Erst jetzt schaue ich auf meine Uhr. Sie hatte Ganze 45 Minuten gebraucht. Ich reiche ihr ein Taschentuch und zeige ihr dann das Gif einer friedlich schlafenden Katze. Die Idee war von einer studentischen Hilfkraft gekommen die selbst mitgemacht hatte. Also bekamen es alle zur Beruhigung. Und 45€ Aufwandsentschädigung. "Danke, du darfst jetzt gehen" sage ich der Frau mit dem kurzem Pony, die immer noch schluchzt. Lustig, dass ich nicht mal ihren Namen weiß. 

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2018 startet wie unsere Raketen in Holland, mühsam und dann quer zum Boden, aber doch voller Funken. AHJA.