Samstag, 22. September 2018

lange Nächte im Schiffstrakt

Es ist dreiundzwanzig Uhr und vierundzwanzig Minuten, das Licht ist grell und kriselt. Im Schiffstrakt Eins-Ost ist es ruhig, ab und zu hustet wer (wegen der viel zu kalten Klimaanlage) und im Hintergrund tippen auch ein paar Menschen geräuschvoll Wörter in den hell flimmernden Computer (so wie ich). Seit fünf Stunden sitze ich hier und beschäftige mich hauptsächlich mit intensivem vor mich hin Starren und fröhlichem Zukunftsplanen. Also nicht so reelles Planen, mehr so Kopfkino. Hin und wieder fragt war was und ich höre zu, nicke, lächele und  antworte dann jedes Mal "es tut mir Leid, ich habe keine Ahnung". Viel lieber würde ich sagen "ich bin bloß eine Attrappe" oder "ich existiere hier nur zum Schein". Aber damit würde ich der Service-orientierten Haltung nicht mehr gerecht, die man uns hier versucht aufzuschwatzen. Nach dieser freundlich - aber bestimmten - Antworten werde ich feindselig angestarrt oder bekomme verbale Pflaumen an den Kopf geworden. Manchmal ist es auch einfach ein Stinkefinger. Dann schaue ich noch ungläubiger als sowieso schon, schüttele meinen trägen Kopf von der einen zur anderen Seite und möchte am liebsten schreien "I don't give a Fuck" oder zumindest mal "What the Fuck?" aber hier darf man ja nicht schreien. Nicht mal sprechen. Und ein geflüstertes Fluchen ist irgendwie auch nichts. Also bleibt es beim stoischen Kopfschütteln. 

Im Grunde ist es mir völlig egal, ob sich hier an die Regeln gehalten wird und eigentlich fände ich großen Gefallen daran, diese zu brechen oder anderen beim Brechen dieser Allgemeingültigkeiten zu zusehen. Aber alle verhalten sich meist so konform, dass ich mich kaum traue in die Tasten zu hauen, dass ich mich beim Trinken wirklich nur aufs Trinken konzentriere und auch das abrupte Aufstehen vermeide. Ich könnte etwas um rempeln, um schmeißen, Lärm oder Chaos verursachen und am Ende könnte ich Menschen davon abhalten wenige Sekunden starr und hochkonzentriert in die Bildschirme zu starren. Und das wäre wirklich viel zu crazy. Denn die Leute die hier um inzwischen viertel vor elf sitzen meinen es wirklich ernst und verstehen meistens auch nicht allzu viel Spaß. Wahrscheinlich haben sie Schlafstörungen. Sie sollten sich also lieber auf die neu eingerichtete Loungeecke schmeißen und die letzten Minuten vor sich hin dösen, statt hier einen auf Marathon zu machen. Wenn ich Krach machen dürfte, würde ich ihnen diesen Tipp gratis zu rufen... aber was red' ich: alle wie sie mögen. 
Ich mag allerdings nicht mehr und mein Kopf fällt alle paar Meter träge in Richtung rot lackierten Linoleumboden. Es wird Zeit, dass es einmal, dann zwei mal gongt und alle sich langsam hinaus begeben. Dass auch die letzten ihre Taschen packen, ihre Dokumente abspeichern und für einen kurzen Moment Frieden herrscht. 
Nachts im Schifftrakt.