Dienstag, 22. April 2014

How to get lost during your daily Workout


"Daily" ist völlig übertrieben, "lost" auch, aber der Titel klingt immerhin vielversprechend! 

Wenn der zufällige, lebensbejahende Plan-B jederzeit spontan auf mich zukommen könnte, heißt es entspannt bleiben, immer schön lächeln und Geduld zeigen - eine meiner Spezialitäten. 
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Meine Waden sind hart wie ein Brett, krampfen bei jedem neuen Meter und wollen auf Teufel kaum raus jetzt nicht laufen. Ich nehme noch ein paar Mal Anlauf zum Trab, stehe aber nach ein paar mühseligen Versuchen Kerzengerade und verziehe säuerlich mein Gesicht. Es ist aussichtslos, weshalb ich jetzt den Weg an der Lahn entlang schleiche wie eine müde Schildkröte. Es sieht aus als wären das heute meine ersten Gehversuche. Es sieht verdammt lächerlich aus. Jedes Mal wenn mich ein Jogger überholt, ziehe ich meine Kapuze noch tiefer ins ungeschminkte, verpickelte Post-Ostergesicht. Dieses Post-Ostergesicht sagt irgendetwas zwischen „ich habe es überlebt“ und „ich wurde in meiner eigenen Kotze wiedergeboren“ aus. Oder einfach nur "fettig und faltig". Irgendwie tendiere ich  - wie jedes Jahr - dazu, Ostern als meinen Lieblingsfeiertag schlechthin zu bezeichnen, dabei völlig zu romantisieren und am Ende frustriert und fett da zu stehen. Mit diesem Fiepen im Ohr, dass einem sagt "mach dir keine Illusionen" und "fress' doch nicht gleich alle Schokoeier auf einmal". Diese retardierenden Momente retardierten sich dieses Jahr besonders schlimm. Zeitweise hatte ich das Gefühl ich würde in einem Film sitzen in dem man die Schauspieler dazu aufruft immer wieder das selbe zu sagen damit die entweder träumenden Zuschauer wirklich auch Bescheid wissen, oder aber völlig ausrasten. Ich wette nächstes Jahr habe ich jedoch auch dieses bildhafte Gefühl vergessen und denke, dass ein paar bunte, hartgekochte Eier (alternativ auch in Schoko mit Schnaps!) schon so einiges rausreißen werden. – Aber ich schweife ab. Eiere dem Feiertag entsprechend weiter, versuche ab und zu meine Waden zu lockern in dem ich feste gegen sie schlage, prelle mir die Hand und ernte dabei mitleidige Blicke und lautstarkes Hupen. Es gibt kaum etwas frustrierenderes, aber zum Umkehren ist es jetzt auch zu spät. Meine Musik beschallt den ganzen Spazierweg, die Sonne scheint tief und der Blick auf Marburg lässt mich wehmütig seufzen. Irgendwann stelle ich erleichtert fest, dass sich noch ein Versager zu mir gesellt hat und ein paar Schritte in meinem Windschatten schlendert. Auch er sieht irgendwie desillusioniert aus und trägt das Post-Ostergesicht in den Wind, nur ohne Pickel. Ich lächele ihm schief zu und bin gleichzeitig peinlich berührt. Er kann ja schlecht ahnen dass ich ihn für einen Mitversager halte, oder unterschätze ich da meine telepatischen Fähigkeiten? So frustig das Nicht-Joggen auch sein mag, ich merke gleichzeitig, mit ein bisschen mehr Sauerstoff in den Lungen lässt es sich auch direkt viel besser denken. Ich denke also angestrengt, komme aber – wieder relativ frustrierend - zu keinen neuen Erkenntnissen. Marburg ist heute wieder so atemberaubend schön, dass ich am Liebsten einen lauten Schrei von mir geben will, als ich, flussaufwärts, am Campingplatz vorbei ziehe. Hurra! Ich denke an das Mitnehm-Problem und all die anderen Sachen. Ein lautloses Manno. Am Minigolfplatz kommt mir dann die Erkenntnis, die ich ohne brett-artige Waden niemals gehabt hätte. Sie ist so simple wie ernüchternd, unüberraschend und banal. Marburg wird – vermutlich – so bleiben. Wie es so dar liegt, zwischen Hügeln eingebettet, einem Fluss am Fuße und mehreren seltsam-romantischen Gebäuden ringsherum. Auch ohne mich wird es hier schön sein. Auch ohne die anderen Trottel. Dann stelle ich mir vor, wie ich aus meinem stickigen Zelt krieche, mich ins halbnasse frisch gemähte Grass setze und aufs Schloss schaue. Ein Crossaint im Mund – nur damit es noch wildromatischer wirkt – und ein Buch in der Hand. Ich räkele mich im tief stehenden Abendlicht und beobachte eine Joggerin die schlapp macht. Dann denke ich an mich, an diesem Moment, vor Jahren, an dem ich verstand dass, wenn ich gehe, Marburg einfach weiter lebt, aber dass ich jederzeit vorbei kommen und Hurra schreien kann. Dass ich eine Croissant-fressende Marbosch-Camperin werden kann, jederzeit, wann immer ich will. 

Wenn ich bis dahin nicht zu dem Schluss gekommen sein sollte, dass ich mal wieder einmal alles romantisiert habe, ja.