Dienstag, 8. April 2014

talking about… my past as a Verkaufsmaus!

Heute hab ich was lustiges gefunden! Nämlich ein Dokument meiner Vergangenheit. 
Das Zeitzeugnis entstammt meinen wilden, blutjungen Zwanzigern, als ich mir meine Brötchen damit verdiente, stinkende Chinaware zu verscherbeln. Ziemlich lange (naja sagen wir normalerweise werfe ich noch schneller das Handtuch) war dies mein alles erfüllender Alltag. Und das war so:
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Mein Morgen als Verkaufsmaus fängt eigentlich recht gemütlich an. Aufstehen, Frühstücken, duschen, ein Apfel, eine Wasserflasche einpacken und fertig bin ich zum Aufbruch ins schönste Konsum Getümmel. Ach halt, das Outfit! Am besten natürlich Klamotten aus dem „eigenen Laden“ (ohja wie schnell es mit der Überidentifikation doch geht!) anziehen, denn am meisten freut man sich doch, wenn Kundinnen die „wo hängt denn das was sie da anhaben.“-Frage stellen. Ansonsten ist das A und O einer guten Vorbereitung: flache Schuhe. Selbst meine Kollegin, die ein ausgesprochener Highheels-Fan ist, jammert nach einigen „Absatz-Stunden“ wie ein krankes Meerschweinchen. An alle anderen Trottel, die dachten, dass nur die hohen Stiefel zum Gesamtkonzept passen, aber die Schmerzen nach vier Stunden stehen trotzdem unerträglich werden und auch noch –zu allem Übel- Mülltag ist (20 Kisten Müll und 3 Treppen zur Müllpresse!) verteilt sie großzügig flache Ballerinas, die sie in einer kleinen Plastiktüte in ihrer gefakten Chaneltasche die sie immer mit sich herum trägt.

Die Tage als Verkäufermaus sind zwar immer ähnlich, teilen sich aber grundsätzlich immer in zwei Kategorien auf. „volle Tage“ und „tote Tage“. Etwas dazwischen gibt es einfach nicht. „Volle Tage“ sind Freitage, Samstage und manchmal Mittwoche und grundsätzlich die Tage, an denen - frisch aus China eingeflogene - neue Ware gebracht wird. Anders wird es niemals sein, denn das ist anscheinend ein ungeschriebenes Gesetz des Einzelhandels. An „vollen Tagen“ fühle ich mich nicht als Verkaufsmaus das mickrige und ausbeuterische sechs Euro die Stunde verdient, sondern viel eher als Zirkuspferd das immer lächelnd die schmerzenden Füße verdrängt und dabei pausenlos seine Runden dreht. „Runden drehen“ heißt im Verkaufsjargon mit einem wachsamen Blick durch die Regale gehen, Bügel richtig hängen, auf dem Boden liegende Kleidung ausheben, aufhängen, Müll aufsammeln, Kabinen aus- und aufräumen, Schuhe suchen, finden (oder verzweifeln), ordnen und einkartonieren und schlimmstenfalls Kunden zu beraten. Auf Fragen wie „steht mir das, ganz ehrlich?“ oder „sehe ich darin zu fett aus?“ bleibt einem als Verkaufsmaus entweder nur die harte Realität (denn ja, es sieht fett aus und steht ihnen ganz und gar nicht!), die harte Realität in zuckersüße Watte zu verpacken („unsere Größen fallen immer min. 2 Nummern kleiner aus. Versuchen sie es lieber mit einer Nummer größer.“), mit der harte Realität auf den eigenen Geschmack schieben („mir Persönlich gefällt es nicht, nein.“) oder dem Kunden einfach das Blaue vom Himmel zu erzählen („nein, sie sehen kein bisschen fett aus, im Gegenteil... steht ihnen ganz ausgezeichnet!“). Jeder dieser Entscheidungen zieht unkalkulierbare Resultate mit sich. Entweder nicken die Kundinnen dankbar (und kaufen schlussendlich natürlich doch die viel zu kleine Hose!), kriegen einen schrecklichen Wutanfall, sind beleidigt und eingeschnappt und fangen an, mich zu beschimpfen, oder aber, sie ignorieren meine Antwort ganz einfach und fragen stattdessen lieber eine andere Kundin nach ihrer  kompetenteren Meinung. Diese Art von Beratung ist also von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Eine andere und mindestens genauso nervige Sache im Einzelhandelkarusell ist die Nachfrage. „Haben Sie diese Schuhe noch in 38 da?“, „haben Sie auch Hosen mit Schlag“, „haben Sie vielleicht noch ein anders ähnliches Modell?“ „wie viel kostest das?“. Diese Art von Nachfragen führen, bei mir als Verkaufsmaus, erst einmal zu einem freundlichen „einen Moment bitte“-Standardsatz. Denn in 90% der Fälle habe auch ich, als Sechs-Euro Aushilfskraft, keine Ahnung und verschaffe mir mit dieser kurzen Antwort einen Überlegungszeitraum von genau einer Minute. Auch hier habe ich wieder drei Möglichkeiten. Erstens, ich frage (bei einer Kollegin) nach. Das funktioniert nur, wenn eine Kollegin da ist und natürlich wenn diese Kollegin zufälligerweise schlauer als ich sein sollte (was natürlich nur ganz selten der Fall ist!). Dann könnte es immer sein, dass ich dafür einem hämischen Blick ertragen muss, weil ich zuviel frage und zuwenig weiß (was meiner Meinung nach bei einem ständig wechselnden Sortiment quasi unmöglich ist, aber gut...). Die zweite Möglichkeit ist Nachforschen, was heißt, ich stelle den ganzen Landen auf den Kopf um eine Schlagjeans zu finden, ich suche stundenlang nach einem Preisetikett, durchwühle das Lager nach 38er Schuhen und komme niedergeschlagen und völlig fertig auf eine ebenso niedergeschlagene Kundin zurück, die all das auch eigenmächtig hätte tun können. Die einfachste Möglichkeit ist also mal wieder die mit dem blauen Himmel. Fragt mich jemand nach einer anderen Größe sage ich ganz kühn „nein tut mir Leid, da haben wir leider gar nichts mehr von“ (ja, auch die sprachliche Artikulation leidet unter dem Verkaufen!) – Fragt jemand nach einem Preis, denke ich mir den schönst möglichen aus. Natürlich ist diese Methode nicht immer ganz ungefährlich. Häufig entstehen peinliche Situationen („wie jetzt, 5 euro? Ich hab den Gürtel hier schon drei mal gekauft und er hat immer nur vier Euro gekostet!“ „ihre Kollegin hat mir aber gesagt, dass sie den Schuh noch ganz oft im Lager haben...“ und so weiter und so weiter) und dann rettet einen oft nur ein roter Kopf und ein „tut mir Leid ich bin nur die Aushilfe“-Geplänkel. Manchmal rettet einen natürlich auch das nicht mehr und dann brauch man als Verkaufsmaus einen echt knall harten Panzer.

Kommen wir also zum Klientel einer Verkaufsmaus in einem Verkaufsladen der vorwiegend frische chinesische Billigware importiert, einen nur sporadisch deutsch sprechenden Chinesen als Chef hat, der aber nie da ist und von Nichts als vier netten Verkaufsmäusen gehalten wird. Man könnte also wilde Vorurteile über ein Klientel aus Nutten, Zuhältern und Koksbräuten schüren. Aber dieses Vorurteil sehe ich nur zum Teil bestätigt. Denn zwar erschrecke ich als Verkaufsmäuschen immer wieder, wenn sich plötzlich eine Schlägerei zwischen den Kabinen anbahnt oder sich eine der Koksbräute mit ihrer Kleidung unterhält, aber ansonsten wird „unserer Laden“ so ziemlich von jeder Altersgruppe, Schicht und politische Orientierung besucht. Gucci-Taschen werden neben Ed-Hardy Shirts gehalten, Studenten mit „Atomkraft- nicht schon wieder“ Button lehnen lässig neben möglicherweise verwöhnten Gören mit Bootsschuhen und Longschamp Tässchen im Arm, während der FDP Freund ein unterhaltsames Schwätzchen mit seinem alten Schulkollegen hält, der inzwischen ein waschechter Antifa- Aktivist geworden ist. Riesige dünne Mädchen, denen die Größe 32 zu klein ist, fachsimplen mit übergewichtigen Wampenträgern über die aktuelle Mode oder über eine vergeigte Klausur. Alte Omis kommen mit ihrer Großfamilie und vier Generationen an, Single Mütter in Highheels rufen nach ihren wild gewordenen Kindern. Alles scheint möglich, alles scheint ein großer, bunter Haufen zu sein, mitten aus dem Leben gegriffen.

Mein Leben als Verkäufsmäuschen ist anstrengend und an „toten Tagen“ unglaublich langweilig. Dann verstecke ich mich einfach unterm Tresen und stelle mich ebenfalls tot. Manchmal wird man wegen zwölf Euro dermaßen angeschrien, dass man zwar gerne seinen Kopf in ein großes Aquarium stecken würde, aber stattdessen die Nummer der örtlichen Polizei ins Telefon tippen muss. Dann ist es eine echte Genugtuung wenn jemand unaufgesetzt freundlich ist, mit einem redet, einen nicht für ein dummes, billiges Verkaufsmäuschen hält und einem zum Schluss einen schönen Tag wünscht. Mehr nicht.   




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Und die Moral von dieser (längst verdrängten) Lebensabschnittsphase: sei immer nett! Auch zu stinkenden, Chinaklamotten-tragendenden Verkaufsmäuschen auf zu hohen Schuhen!