Sonntag, 30. Oktober 2011

Amnesie

Man könnte ganze Zeilen darüber schreiben. Davon wie wir heran wuchsen, wie wir immer größer und stärker wurden. Wie wir plötzlich durch die Welt liefen, die Augen weit aufgerissen, die Hände jederzeit zum abstützen bereit. Wir fielen oft, wir trugen einige Narben davon. In diesen Zeilen wird man nichts hören von den großen Taten die wir voller Stolz unseren Eltern erzählten, den die vergaßen sie irgendwann zwischen Kopflosigkeit und Demenz. Auch wird man nichts erfahren über das Gefühl des ersten Schrittes oder des ersten großen Heulkrampfs. Man kann nichts rekonstruieren, nicht durch Hypnose oder Schläge auf den Hinterkopf. Wir haben keinerlei Erinnerung, keinen blassen Schimmer. Was bleibt sind ein paar Fotos auf denen wir breit lachen und Eltern die einen weiß machen wollen, man wäre dabei fast vom Stuhl gefallen. Was bleibt uns als das hinzunehmen und uns auf die Wirklichkeit des Jetzt zu konzentrieren. -Doch auch hier haben wir ständig Lücken, fehlen uns ständig zusammenhängende Sätze die wir mal sagten, Worte die wir mal meinten, Dinge die wir dachten und die sich dann im Laufe einiger Sekunden zu einem nebligen Moor verwandelten in dem wir nun herum irren und versuchen uns richtig zu erinnern. Die Zeit macht die Sache nicht leichter. Je mehr vergeht, umso schwammiger wird es. Die vermeintlichen Heldentaten sehen aus der Ferne betrachtet möglicherweise heuchlerisch, fast armselig aus. Aus Lücken werden Kratern, aus Kratern werden Dinge die wir niemals getan zu haben schein. Wir vermeiden es je wieder ein Wort darüber zu verlieren, je eine Erinnerung zu verschenken. Wir reden nicht mehr darüber. -Andere Dinge scheinen unserem Leben nicht genug Wichtigkeit gegeben zu haben. Wir fangen an sie aufzuwerten, Sätze auszubauen, Wörter einzutauschen. Wir betrügen uns selbst damit wir Erinnerungen haben die wir lieben können. Am Ende so sehr, dass wir vergessen, sie selbst konstruiert zu haben. Wir vergessen das wir geweint, statt gelacht haben, wir vergessen das wir Narben davon trugen. -Erinnerungen bleiben nie gleich, sie verändern sich. Bei jedem Erinnern werden sie ein bisschen mehr unwahr, ein bisschen mehr ausgedacht. Woran halten wir uns, wenn wir Fotos nicht mehr glauben und Menschen nicht mehr zuhören können? Wenn wir zwar verstehen was sie sagen, aber es Ihnen nicht mehr glauben? -Wir schrieben einige Zeilen, lasen und veränderten sie immer wieder, wir hielten uns dabei an unsere Erinnerung, an Bilder in unserem Kopf, Sätze und Worte die unser Ohr erreichten und abgespeichert wurden. Wir konstruierten dabei ein Sammelsurium, jederzeit in der Lage uns unsere eigene Wirklichkeit zu bilden. Man könnte einige Zeilen über diese Erinnerungen schreiben, am Ende würde niemand merken das es nicht die sind für die wir sie hielten. Das wir sie klauten, ausschmückten und umschrieben. Vermutlich würde es niemand merken, unsere Eltern uns unsere Heldentaten, auf Grund von Kopflosigkeit oder fortschreitender Demenz, sowieso glauben. -Wir wissen nicht mehr was wir taten, wir wissen nicht mehr wie sich was wo abspielte. Ob es sich abspielte. Wir sind zu müde um alles noch mal zu durchleben. Wir fangen an zu resignieren, nicken Dinge ab die wir niemals taten, wissen um Sachen die niemals passierten. Ein Glas Wein zu viel, ein Schlag auf den Hinterkopf, eine Portion Kopflosigkeit und möglicherweise beginnende Demenz, wir können uns auf den Kopf stellen, aber wir erinnern uns einfach nicht.

Ein nebliger Sonntag, ein, zwei zu kalte Kaffees und das neue Album von Florence runden die Sache ab!