Heute hab ich was lustiges gefunden! Nämlich ein Dokument meiner Vergangenheit.
Das Zeitzeugnis entstammt meinen wilden, blutjungen Zwanzigern, als ich mir meine Brötchen damit verdiente, stinkende Chinaware zu verscherbeln. Ziemlich lange (naja sagen wir normalerweise werfe ich noch schneller das Handtuch) war dies mein alles erfüllender Alltag. Und das war so:
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Mein Morgen als
Verkaufsmaus fängt eigentlich recht gemütlich an. Aufstehen, Frühstücken,
duschen, ein Apfel, eine Wasserflasche einpacken und fertig bin ich zum
Aufbruch ins schönste Konsum Getümmel. Ach halt, das Outfit! Am besten
natürlich Klamotten aus dem „eigenen Laden“ (ohja wie schnell es mit der Überidentifikation
doch geht!) anziehen, denn am meisten freut man sich doch, wenn Kundinnen die „wo
hängt denn das was sie da anhaben.“-Frage stellen. Ansonsten ist das A und O einer
guten Vorbereitung: flache Schuhe. Selbst meine Kollegin, die ein
ausgesprochener Highheels-Fan ist, jammert nach einigen „Absatz-Stunden“ wie
ein krankes Meerschweinchen. An alle anderen Trottel, die dachten, dass nur die
hohen Stiefel zum Gesamtkonzept passen, aber die Schmerzen nach vier Stunden
stehen trotzdem unerträglich werden und auch noch –zu allem Übel- Mülltag ist
(20 Kisten Müll und 3 Treppen zur Müllpresse!) verteilt sie großzügig flache
Ballerinas, die sie in einer kleinen Plastiktüte in ihrer gefakten Chaneltasche die sie immer mit sich herum trägt.
Die Tage als
Verkäufermaus sind zwar immer ähnlich, teilen sich aber grundsätzlich immer in
zwei Kategorien auf. „volle Tage“ und „tote Tage“. Etwas dazwischen gibt es
einfach nicht. „Volle Tage“ sind Freitage, Samstage und manchmal Mittwoche und
grundsätzlich die Tage, an denen - frisch aus China eingeflogene - neue Ware
gebracht wird. Anders wird es niemals sein, denn das ist anscheinend ein
ungeschriebenes Gesetz des Einzelhandels. An „vollen Tagen“ fühle ich mich
nicht als Verkaufsmaus das mickrige und ausbeuterische sechs Euro die Stunde
verdient, sondern viel eher als Zirkuspferd das immer lächelnd die schmerzenden
Füße verdrängt und dabei pausenlos seine Runden dreht. „Runden drehen“ heißt im
Verkaufsjargon mit einem wachsamen Blick durch die Regale gehen, Bügel richtig
hängen, auf dem Boden liegende Kleidung ausheben, aufhängen, Müll aufsammeln,
Kabinen aus- und aufräumen, Schuhe suchen, finden (oder verzweifeln), ordnen
und einkartonieren und schlimmstenfalls Kunden zu beraten. Auf Fragen wie
„steht mir das, ganz ehrlich?“ oder „sehe ich darin zu fett aus?“ bleibt einem
als Verkaufsmaus entweder nur die harte Realität (denn ja, es sieht fett aus
und steht ihnen ganz und gar nicht!), die harte Realität in zuckersüße Watte zu
verpacken („unsere Größen fallen immer min. 2 Nummern kleiner aus. Versuchen
sie es lieber mit einer Nummer größer.“), mit der harte Realität auf den
eigenen Geschmack schieben („mir Persönlich gefällt es nicht, nein.“) oder dem
Kunden einfach das Blaue vom Himmel zu erzählen („nein, sie sehen kein bisschen
fett aus, im Gegenteil... steht ihnen ganz ausgezeichnet!“). Jeder dieser
Entscheidungen zieht unkalkulierbare Resultate mit sich. Entweder nicken die
Kundinnen dankbar (und kaufen schlussendlich natürlich doch die viel zu kleine
Hose!), kriegen einen schrecklichen Wutanfall, sind beleidigt und
eingeschnappt und fangen an, mich zu beschimpfen, oder aber, sie ignorieren meine
Antwort ganz einfach und fragen stattdessen lieber eine andere Kundin nach
ihrer kompetenteren Meinung. Diese Art von Beratung ist also von Anfang an zum Scheitern
verurteilt.
Eine andere und
mindestens genauso nervige Sache im Einzelhandelkarusell ist die Nachfrage. „Haben Sie diese Schuhe
noch in 38 da?“, „haben Sie auch Hosen mit Schlag“, „haben Sie vielleicht noch
ein anders ähnliches Modell?“ „wie viel kostest das?“. Diese Art von Nachfragen
führen, bei mir als Verkaufsmaus, erst einmal zu einem freundlichen „einen Moment
bitte…“-Standardsatz. Denn in 90% der Fälle habe auch ich, als Sechs-Euro Aushilfskraft, keine Ahnung und verschaffe mir mit dieser kurzen Antwort einen
Überlegungszeitraum von genau einer Minute. Auch hier habe ich wieder drei
Möglichkeiten. Erstens, ich frage (bei einer Kollegin) nach. Das funktioniert
nur, wenn eine Kollegin da ist und natürlich wenn diese Kollegin
zufälligerweise schlauer als ich sein sollte (was natürlich nur ganz selten der
Fall ist!). Dann könnte es immer sein, dass ich dafür einem hämischen Blick
ertragen muss, weil ich zuviel frage und zuwenig weiß (was meiner Meinung nach
bei einem ständig wechselnden Sortiment quasi unmöglich ist, aber gut...). Die
zweite Möglichkeit ist Nachforschen, was heißt, ich stelle den ganzen Landen
auf den Kopf um eine Schlagjeans zu finden, ich suche stundenlang nach einem
Preisetikett, durchwühle das Lager nach 38er Schuhen und komme niedergeschlagen
und völlig fertig auf eine ebenso niedergeschlagene Kundin zurück, die all das
auch eigenmächtig hätte tun können. Die einfachste Möglichkeit ist also mal wieder
die mit dem blauen Himmel. Fragt mich jemand nach einer anderen Größe sage ich
ganz kühn „nein tut mir Leid, da haben wir leider gar nichts mehr von“ (ja,
auch die sprachliche Artikulation leidet unter dem Verkaufen!) – Fragt jemand
nach einem Preis, denke ich mir den schönst möglichen aus. Natürlich ist diese
Methode nicht immer ganz ungefährlich. Häufig entstehen peinliche Situationen
(„wie jetzt, 5 euro? Ich hab den Gürtel hier schon drei mal gekauft und er hat
immer nur vier Euro gekostet!“ „ihre Kollegin hat mir aber gesagt, dass sie den
Schuh noch ganz oft im Lager haben...“ und so weiter und so weiter) und dann
rettet einen oft nur ein roter Kopf und ein „tut mir Leid ich bin nur die
Aushilfe“-Geplänkel. Manchmal rettet einen natürlich auch das nicht mehr und
dann brauch man als Verkaufsmaus einen echt knall harten Panzer.
Kommen wir also
zum Klientel einer Verkaufsmaus in einem Verkaufsladen der vorwiegend frische
chinesische Billigware importiert, einen nur sporadisch deutsch sprechenden Chinesen
als Chef hat, der aber nie da ist und von Nichts als vier netten Verkaufsmäusen
gehalten wird. Man könnte also wilde Vorurteile über ein Klientel aus Nutten,
Zuhältern und Koksbräuten schüren. Aber dieses Vorurteil sehe ich nur zum Teil
bestätigt. Denn zwar erschrecke ich als Verkaufsmäuschen immer wieder, wenn
sich plötzlich eine Schlägerei zwischen den Kabinen anbahnt oder sich eine der
Koksbräute mit ihrer Kleidung unterhält, aber ansonsten wird „unserer Laden“ so ziemlich von jeder Altersgruppe, Schicht und politische Orientierung besucht.
Gucci-Taschen werden neben Ed-Hardy Shirts gehalten, Studenten mit „Atomkraft-
nicht schon wieder“ Button lehnen lässig neben möglicherweise verwöhnten Gören
mit Bootsschuhen und Longschamp Tässchen im Arm, während der FDP Freund ein
unterhaltsames Schwätzchen mit seinem alten Schulkollegen hält, der inzwischen
ein waschechter Antifa- Aktivist geworden ist. Riesige dünne Mädchen, denen die
Größe 32 zu klein ist, fachsimplen mit übergewichtigen Wampenträgern über die
aktuelle Mode oder über eine vergeigte Klausur. Alte Omis kommen mit ihrer
Großfamilie und vier Generationen an, Single Mütter in Highheels rufen nach
ihren wild gewordenen Kindern. Alles scheint möglich, alles scheint ein großer,
bunter Haufen zu sein, mitten aus dem Leben gegriffen.
Mein Leben als
Verkäufsmäuschen ist anstrengend und an „toten Tagen“ unglaublich langweilig.
Dann verstecke ich mich einfach unterm Tresen und stelle mich ebenfalls tot. Manchmal
wird man wegen zwölf Euro dermaßen angeschrien, dass man zwar gerne seinen Kopf
in ein großes Aquarium stecken würde, aber stattdessen die Nummer der örtlichen
Polizei ins Telefon tippen muss. Dann ist es eine echte Genugtuung wenn jemand unaufgesetzt freundlich ist, mit einem redet, einen nicht für ein dummes, billiges Verkaufsmäuschen hält und
einem zum Schluss einen schönen Tag wünscht. Mehr nicht.
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Und die Moral von dieser (längst verdrängten) Lebensabschnittsphase: sei immer nett! Auch zu stinkenden, Chinaklamotten-tragendenden Verkaufsmäuschen auf zu hohen Schuhen!