Ich sitze im Bus
auf der A45 von Dortmund nach Gießen und kenne inzwischen jeden Parkplatz bei
Namen. Neben mir dröhnt Peter Fox aus den Kopfhörern meines Sitznachbarn, eine
ältere Frau schräg hinter mir ächzst genau alle fünf Minuten. Sie röchelt und krächzt seitdem ich mich schräg vor sie setzte und bringt mich jeden Moment dazu, irgendwo
eine Notbremse zu ziehen (falls es so was in Bussen geben sollte?!) oder
zumindest zum mutwilligen zertrümmern einer Scheibe direkt neben ihrem Kopf. Die zwei
Drittsemester-Scherzkekse, er „Pharmazeut“ aus Marburg, sie „Ökotrophologie“
aus Gießen, beide gebürtige Pötter, scheint das alles nicht zu stören. Sie redet
– er redet. Er redet – sie redet. Sie verstehen sich, sie lachen, sie essen
zusammen Schokokekse. Das alles scheint so etwas wie eine göttliche Fügung.
Janna und Paul kennen sich erst seit fünf Minuten, seit zehn kennt auch jeder im
Bus ihre Story. Um endlich ein Bild von den beiden pubertären Pott-Stimmen
zu bekommen, stehe ich endlich auf und gehe unauffällig zu Klo. Da ich jetzt
einmal angefangen habe, wird sich das – wie ich inzwischen weiß – so weiter
fortführen. An einer Fahrt die knapp zweieinhalb Stunden dauert, laufe ich schon
mal gerne drei bis vier, manchmal fünf Mal aufs Klo. Das wiederum liegt –
meiner Meinung nach – an der furchtbaren Klimaanlage, die wiederum mit meinem
unstillbaren Bedürfnis nach Wasser einhergeht. Alles an dieser Fahrt ist also
irgendwie ein bisschen verachtenswert – gäbe es nicht solche romantischen
Zufälle, wie Janna und Paul sie miteinander teilen. Ich hingegen, führe seit über zwei Monaten eine Fernbeziehung
mit dem Ruhrpott! Um es noch ein wenig konkreter zumachen, ich teile mir eine Partnerschaft mit Dortmund und
Bochum. Von romantischen Zufällen wage ich selten zu träumen! Nun sieht es
jedoch so aus, als sei dieser selbstlosen Geste bald ein Ende gesetzt. Das ist
einerseits natürlich sehr traurig, denn allmählich ist meine erst wöchentliche,
später vierzehntägige Busfahrt ein schönes Wochenendritual, anderseits ist so
eine eigene Bleibe, man könnte auch etwas snobbisch ein so genannter ‚Zweitwohnsitz’,
ja doch was ganz Feines. Meine befindet sich nun bald in schönsten Dortmunder
Gefilden. Das Gefilde befindet sich – wie bereits vorausgesagt – im schönsten,
snobbigsten und schönebergigsten Viertel Dortmunds, ringsherum eingebettet in
Cafés und garniert mit einer extra nahen Parkanbindung. Also ganz undortmundig
untrashig könnte man behaupten, aber um behutsam aus meiner Marbosch-Blase
herauszukommen können einige Sicherheitsvorkehrungen sicherlich nicht schaden.
Meine Marbosch-Blase ist so was wie ein Süßwasser Aquarium! Immer wenn nach der
zweieinhalbstündigen Busfahrt ein Schloss zwischen ein paar grünen Hügeln entdecke, möchte ich wie ein kleines Kind vom Sitz springen und einen spitzen
Schrei von mir geben. Meist beschränke ich mich – dem gesellschaftlichem Druck
erliegend – dann doch nur auf ein zufriedenes Lächeln. „Hallo Süßwasser
Aquarium, hier ist es so schön unaufregend!“ Dass ein Süßwasser Aquarium in
seiner Unaufgeregtheit auch viele Nachteile hat, muss ich nicht erwähnen –
mache ich natürlich trotzdem kurz. Man stößt sich schnell den Kopf, irgendwie
ist es immer zu klein und die Sicht ist verdammt eingeschränkt. Darüber hinaus
fehlt einem manchmal eine realitätnahe Spur Salzwasser in den Augen und ein paar
Wellen wären auch nicht schlecht. Von diesen kleineren Makeln abgesehen,
beherbergt eine Blase jedoch Einiges. Die Eckpfeiler einer Blase stellen
Sicherheit, Schönheit, Übersicht und Vertrautheit dar, dass ist ja wohl
allgemein bekannt. Dieses stabile Pfeiler-Quadrat wiederum führt zu einem nicht
zu unterschätzenden Gefühl von Heimat. Einem Gefühl von Harmonie und
Vollkommenheit – aber ich schweife schon wieder kolossal ab! Während ich mich
also - wie immer - wie ein kleiner Kinder-Schneekönig freue, nachdem ich nach
einem Wochenende Pott-Schock (diesmal noch mit einem gewaltigen
Post-Siegen-Schock gepaart) bald wieder in lauwarmen Lahn-Gewässern bade,
tauschen die Drittsemestler hinter mir endlich ihre Telefonummern aus. Das war
der Zeitpunkt, an dem ich beschlossen hatte ihnen zumindest einen Post wie
diesen (wenn nicht einen ganzen Roman!) zu widmen. Denn Janna und Paul werden
sich wiedersehen, da bin ich mir ganz sicher. Irgendwann werden sie sich ein
Haus in Moers kaufen und dort jeden Tag abwechselnd Breaking Bad und Gossip
Girl schauen. Vorher werden sie sich kleine Spoiler zuflüstern und ihre – mit
Schokolade verschmierten Münder – küssen. Sie werden sich an ihre schönste Zeit
erinnern, in der sie zusammen im Bus zwischen Pott und hessischer Mitte saßen,
Biochemie lernten und sich gegenseitig abfragten. Wie sie dann, ihr Studium mit
Bravour abschlossen, weil „man halt auch mal was Lernen muss, um im Leben
weiter zu kommen“. Und sie kamen weit. Janna, die von ihrer Bio Lehrerin zum
Ökotrophologie-Studium ermutigt wurde nicht – wie meine Mutter immer behauptet „
wie alle Ernährungswissenschaftlern essgestört“, sondern erfolgreiche Molekularköchin
einer prominenten Kochsendung und Paul wurde... naja Pharmazeut eben, für einen
Pharmakonzern natürlich! Der Bus hält mit ach und krach an der Automeile – im
großen Nichts Gießens. Ich möchte Janna aufhalten, aber sie ist schon
aufgestanden. Sie hat es eilig, "muss noch einiges an Folien zusammenfassen". Ich weiß so Vieles von ihr und sie weiß noch nicht einmal, dass
ich ihr einen Post widme. Ziemlich ungerecht! Als Janna aussteigt und Paul vorher noch ein „war
schön!“ hinterher quiekt, schaue ich – und Paul – ihr schon wehmütig hinterher. Ihr BVB-Schal weht zum Abschied im Wind. Es sieht ein bisschen so aus, als
würde er winken.
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Während man Busgeschichten schreibt, oder sich in einer besagten wieder findet, hört man diese 'Neuentdeckung'.