Dienstag, 17. Dezember 2013

Der Tag an dem ich eine tickende Zeitbombe an mir trug




Zwar tickt sie nicht, trotzdem bringt sie mich alle fünfzehn Minuten zum quasi explodieren. Mein Arm wird blau, alle Adern quellen heraus, ich krümme mein Gesicht Schmerz verzogen. Das Blut steht still, will weiter, darf nicht. Dass es möglich sei diesen Spaß weniger qualvoll zu ertragen, sagten sie mir erst dann als ich bereits erleichtert die Kabel gelöst hatte. Als ich nicht mehr angsterfüllt auf einen zerquetschten Arm und ein rasendes Herz warten musste. Ob jetzt also das Blut schneller fließt als unter normalen Lebensqualen, weil ich vierundzwanzig Stunden unter Zerquetschungsangst litt, kann ich nur mutmaßen. Kann nur versuchen die Mechanismen meines Körpers auf brummende Monster zu verstehen. Am Ende scheitere ich. 

- Das Brummen lässt einen keinen klaren Gedankenweg beenden. Das Brummen verhindert Körpersprache und Pflege. Es verhindert beinahe dass ich mich vor die Tür traue. Dann entscheide ich mich aber doch dafür. Entscheide mich für die Terroristen-Variante; alles schön versteckt, das Kabel geschickt um den Bauch gewunden, die Bombe an einem Gürtel eng am Bauch. Als ich im Seminar sitze wünschte ich genau in der Sekunde als sie zu brummen beginnt, ich würde hochgehen und niemand würde sich daran erinnern neben einer Siebzigjährigen im Körper einer vierundzwanzig Jährigen zu sitzen, deren Leben bereits am seidenen Faden hängt. Die Fremden starren mich stattdessen irritiert an und fragen mich ob ich vergessen haben sollte meinen Vibrator auszuschalten. Ich verneine und deute auf meine Verkabelung. Die Gesichter nicken verdächtig verständnisvoll und erinnern sich gleich daraufhin an ihre Groß- und Urgroßeltern. Ich wünschte nun es wäre ein Vibrator, während das Brummen kurzfristig abbricht und mich für die nächsten fünfzehn Minuten kurz aufatmen lässt. Genau in dieser Zeitspanne passieren alle Züge und LKWs, die Glocken läuten und Menschen schnattern fröhlich vor sich hin. Fünfzehn Minuten später setzt das Brummen dann wieder ein, als sich die Dozentin nervös durch die Haare fährt und ihren Faden sucht. Es ist totenstill. Ich versuche verschiedene Methoden die von Ignoranz, über rotes Anlaufen bis hin zu ebenfalls irritiertem Umdrehen reichen. Am Ende siegt immer das Monster. Meinem Arm versuche ich gut zu zureden, nach über zehn Stunden Inkognito-Terrorist befürchte ich, dass er entweder jeden Moment abfällt oder einfach einschläft und nicht mehr aufwacht. Ich weiß nicht was ich schlimmer finden soll und wieder, als ich gerade kurz vor einer Entscheidung stehe, bringt mich das Brummen aus dem Konzept.

- Am Ende explodiert sie nicht. Am Ende haben wir überlebt. Mein Arm kann weiter auf Tasten hauen, mein Herz darf weiterschlagen und auch das Blut scheint wieder normal unkoordiniert und in überschneller Geschwindigkeit zu fließen. Auch wenn niemand weiß wie lange noch, wenn man eine tickende Zeitbombe im übervollen Seminar trägt verändert sich jegliches Gefühl von Zeit. Jede Sekunde wird zu einem Jahr, jeder sonst so dahin fliegende Tag zu einer echten Contenanceprobe.