Mittwoch, 18. Mai 2016

Von Wurfzelten und Brennöfen


Ein Plädoyer fürs Ausprobieren (oder mal wieder ein narzistischer Text über den Lebensinn):

„Ich bin kein verdammtes Töpfergut.“ Mit diesem Gedanken und tiefen, hässlichen Sorgenfurchen laufe ich umher und hasse die Welt. Oder viel eher mich. Oder alle Anderen. Ich habe mich noch nicht entschieden. Wie immer. Der Höhepunkt meiner schlechten Laune war vor gut dreißig Minuten als meine Kollegin mal wieder von mir wissen wollte, was ich denn meinem Leben anfangen wolle. Was ich werden wolle. Was ich arbeiten wolle. Wie ich leben wolle. Mit sechsundzwanzig. Sie schreibt gerade ihre Doktorarbeit und hat ein geregeltes Leben mit geregelter Arbeit. Viele haben ein geregeltes Leben mit sechsundzwanzig, das ist nicht verwerflich. Sie wusste als sie diesen Job anfing, dass sie jetzt ihre Doktorarbeit schreiben würde. Sie wusste, dass gehört dazu wie alles andere. „so wie wenn du einen Töpferkurs belegst und dann deine Sachen in den Brennofen tust.“ So selbstverständlich war es für sie. Ich habe gerade mein zweites Studium abgebrochen und mein insgesamt viertes Studium begonnen. Ich versuche mit verschiedenen Jobs über Wasser zuhalten, damit ich irgendwann einen Abschluss habe von dem ich nicht weiß ob er mir andere Optionen ermöglicht als eben genau diese Nebenjobs. Unser Gespräch kann nicht funktionieren. Wir verstehen uns heute nicht. Völlig in Rage erzähle ich meiner Mitbewohnerin davon. Aber auch sie versteht mich heute nicht. Sie wusste nach dem Abi dass sie Lehrerin werden will. Sie macht Nebenjobs um dann Lehrerin zu sein. So wie sie es wollte. Ich wusste, dass ich nach dem Abi studieren will, also studierte ich. Sechs Jahre ist das her. Um mein Leben (mit zu) finanzieren arbeitete ich zwischendrin in Klamotten- und Schuhläden, als Kinderbetreuerin, Schauspielpatientin, studentische Hilfskraft, Hochzeitsfotografin und wenn man es genau nimmt war auch Beuteldesignerin dabei. Ich wollte Künstlerin, Journalistin, Psychotherapeutin, Erziehungswissenschaftlerin und Motologin werden. Tatsächlich habe ich einen Abschluss in Soziologie gemacht. Tatsächlich fand ich es immer gut wenn ich mich nicht entscheiden musste. Wenn es einfach so passierte. Tatsächlich habe ich Vieles ausprobiert. Ich bereue nichts davon, denn ich bin kein verdammtes Töpfergut. Ich bin unfertig, launisch und immer auf der Suche. Ich probiere gerne Dinge aus und höre immer genau dann damit auf, wenn ich es wirklich nicht mehr machen will. Das dauert manchmal mehrere Jahre, manchmal einen Tag. Letzte Woche wollte ich mir ein Wurfzelt kaufen und damit die Welt bereisen, was ich letztendlich nicht getan habe. Kann sein dass ich damit nicht besonders gesellschaftskompatibel bin und kann sein, dass ich deshalb manchmal so wütend werde. Weil ich weiß, dass ich einiges, vielleicht zuviel von meinem Leben erwarte. Dass ich manchmal wünschte alles wäre soviel einfacher, wenn ich nur wüsste was ich genau will. Was ich antworten könnte, wenn man mich fragt „Jetzt sag doch mal, was willst du denn machen?“ und mich dabei eindringlich ansieht. Ich könnte mir so Vieles vorstellen und so Vieles nicht. Von Anpassungsschwierigkeiten über Aufmüpfigkeit wurde mir schon Vieles an den Kopf geworden. Meistens von mir Selbst. „hab dich nicht so“, „stell dich nicht so an“, „alle machen das so“ und „zieh halt mal was durch“ sind trotzdem Sätze die nicht gerade zu meinen Favoriten gehören. Ich habe das Bedürfnis mich zu rechtfertigen und mich zu erklären. Den ganzen Druck abzuschütteln. Mich selbst von mir zu überzeugen und von der Flucht mit dem Wurfzelt abzubringen. Denn „wenn du von dir selbst flüchten willst, kannst du auch gleich hier bleiben“. Zitat von meiner Mutter, die Recht hat, hinter mir steht und irgendwie auch mitbeteiligt ist, am ganzen Dilemma. Sie hat mich gelernt, dass es nicht immer gut ist mitzuschwimmen und manchmal sogar angebracht auszusteigen. Dafür bin ich dankbar und dennoch verwirrt. Woher kann ich wissen, was das Richtige ist? Woher soll ich wissen, dass alles gut wird, wenn ich weiterhin so orientierungslos durch die Gegend laufe und bereits die ersten grauen Haare auftauchen? Wenn viele verständnislos gucken und ich am Ende meine größte Kritikerin bleibe. Solche Fragen lassen sich nicht klären, und was bietet sich da besser an, als einen therapeutischen Text darüber zuschreiben. Auf der Basis von schlechter Laune und ein bisschen Welthass. „Ich versuche irgendwie lebendig zu sein und mich nicht unterkriegen zu lassen.“ Vielleicht sollte das meine Antwort sein, auf die Frage was denn genau meine Bestimmung sei. Denn gerade fühlt es sich verdammt richtig an.