Mittwoch, 21. März 2012

Die 'Eins' - Retrospektive eines Ghettos



In der 'Eins' sitzen Menschen mit dicken Bäuchen, Nylon- Jogginghosen und Aldiletten wie sie im Buche stehen. Minderjährige Mädchen in viel zu enger rosa-pink Kombi mit kleinen dicken Kindern, die nachts um halb 12 nach ihrem Bett schreien und denen dann ein Lutscher in den Mund gesteckt wird. Menschen die jedem Klischee eines Ghettobewohners entsprechen, die rotzen, stinken, fett und gammlig sind. Alte Menschen die sich über die Generation ‚Minderjährig mit Kind’ beschwert und sich schon immer fragte, wie aus dem einst harten Arbeiterviertel ein so herunter gekommenes Harz4 Paradies werden konnte. Menschen mit Dackeln die Fred heißen, die manchmal in den Bus kotzen, Erasmus Studenten die danach niemals mehr zurück kommen werden. Menschen mit Behinderung, die es nicht sehen oder und riechen können und mit einem zufriedenen Grinsen über eine Stunde durch die Serpentinen-artigen Gassen des Ghetto gefahren werden und erst am Ende merken das sie doch in die falsche Linie gestiegen sind. Fröhliche, alte Damen, die Spaß daran haben, die kreischenden Babys und kotzenden Hunde zu tätscheln, verstummte Soldaten die interessiert den Busfunk des Fahrers belauschen und es für einen Afganistan-Einsatz halten. Verirrte Studenten die ihren südamerikanischen Erasmus Lover besuchen möchten und chinesische Großfamilien, vereinzelt eine Ökomami die versucht mit ihrer kulturellen Kindergruppe ihrem Kind schon möglichst früh viel mitzugeben. Assi-Bräute, die ihre Zunge, die ganze Fahrt über, im Mund des Ghettoprinzen halten und ab und zu nervös aufkreischen. Viele in sich versunken, von einer besseren Welt oder der neusten Bild- Ausgabe träumend, viele verheiratet mit einem Ghettoprinzen, der sie mit Sex und einem blauen Auge bezahlte, nach dem er in die USA ging um dort spielsüchtig zu werden. Alkoholiker die jeden Tag beschließen dass sie in die Lahn springen und von einem Tretboot überfahren werden, eingefleischte Ghetto-Busfahrer die selbst Ghettobewohner sind und die Eins meist sicher eine Stunde lang mit 15kmh, begleitet von dem Ächzen und Jauchzen, des hart mit dem Berg zu kämpfenden Bus, durch die Plattenbauten, Hochhäuser, Sozialwohnheimen, Mutter-Kind Behausungen und Ghettovillen der Arbeiterfamilien mit Dackel die Fred heißen, fahren. Wenn sie an einem Tag richtig viel Spaß haben, schmeißen sie ein Duzend Fahrräder kurz vorm Berg wieder raus weil ein zugeklappter Baggi mit rosa glitzer Stoff und ein übergroßer Lolli Platz brauchen, oder aber wenn Dackel kotzen, wenn Ghettoprinzen um Assibräute fighten und die Kontrolleure fünf Schwarzfahrer direkt von den Bullen abführen lassen, da bereits wegen Diebstahl eines Mercedessterns und Erregung öffentlichen Ärgernisses gefahndet wurde. Schlechte Tage sind Busfunk- Tage. An solchen hört man den Funk bis in die letzten Reihen. Dann kriegen alle von den verfahrenen Busfahrern inklusive Passagieren mit, den gelegentlichen Entführungen und Unfällen mit entlaufenen Dackeln. Dann helfen auch keine Mädchen in kurzen Röcken und schreienden Drilligen die Chantal, Kevin und Jacqueline heißen, dann helfen auch keine verlaufenen Studentinnen die nach dem Weg fragen und keine Räder die man rauswerfen könnte. Wenn es dann irgendwann still wird, die letzten Menschen aus der Eins steigen und wieder festen Ghettoboden unter sich spüren, wird es Zeit auszuatmen und sich auf ein kühles Bier und die Frau mit dem blauen Auge zu freuen.
Das letzte was ich höre sind ein paar Schmatzer. Die Zuge der Assibraut löst sich langsam aus dem Mund des Ghettoprinzen, die Kinder haben ein müdes Lächeln auf den Lippen weil sie wissen, bald dürfen sie von einem bessern Leben träumen und die mürrischen Alten schleppen sich mühevoll, schimpfend mit ihrem quitschenden Rollator auf die Straße. Dann steige auch ich, bin ein bisschen benommen, taumelig, aus, stehe wieder auf festem, dreckigem Boden und werde von der eisigen Nacht und einem klaren Sternenhimmel empfangen, der hell über dem Ghetto leuchtet.

Geheime Feldstudien besagter Träumerin, damals. Wahrheit und Fiktion liegen bekanntlich nah beieinander (vor allem bei Feldstudien, siehe Kapitel Identifikation, Abgrenzung & Dramaturgie, Handbuch für Sozi-Dummies und deren Feldstudien). Des 'Hard-Core-Faktors' wegen.